Celler Schloss-Gespräch: Weltmeister Deutschland - Boxer ohne Deckung?

Weltmeister Deutschland – Boxer ohne Deckung?“ lautete der Titel des siebten Celler Schloss-Gesprächs am 19. März 2019. Deutschland erlebt seit Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Industrie ist auf Erfolgskurs, die Arbeitslosenquote so niedrig wie nie. Darin fühlen wir uns als „Weltmeister“. Alles bestens also? Leider nein. Denn Deutschland fällt im internationalen Vergleich zurück. Versäumnisse bei Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung können unsere Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig schwächen. Wo sind wir als Wirtschaftsmacht gefordert, jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen? Darüber haben wir mit unseren Gästen diskutiert.

Zum Auftakt der Veranstaltung sprach Moderatorin Jessica Bloem mit Harald Becker, dem „Hausherrn“ im Schloss Celle und Mitveranstalter des Celler Schloss-Gesprächs, über 30 Jahre DMAN. Die Akademie war 1989 mit dem Ziel gegründet worden, die Transformation zur Marktwirtschaft in Russland durch Schulungen zu unterstützen. Heute bietet sie praxisbezogene Fortbildung für Fach- und Führungskräfte aus Mittel- und Osteuropa, Asien und dem Mittleren und Nahen Osten. Dazu gehören immer auch Betriebserkundungen bei niedersächsischen Unternehmen, denen die DMAN damit „potentielle Geschäftspartner frei Haus liefert“, so der DMAN-Geschäftsführer, da diese Begegnungen häufig zu gemeinsamen Projekten führen.

Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall, stellte Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage  unter den Mitgliedern seines Verbands vor. Danach sieht die Wirtschaft in Niedersachsen eher sorgenvoll in die Zukunft. Der bisherige Aufschwung sei nicht in Stein gemeißelt, so Schmidt, der insbesondere auf das Problem zu niedriger Investitionen hinwies.  Das Wachstum vergangener Jahre sei vor allem durch Konsum und Staatsausgaben getrieben gewesen. Bei den Investitionen in Maschinen und Anlagen habe man erst im Jahr 2017 wieder das Niveau von 2008 erreicht. „Uns fehlt insgesamt ein kompletter Investitionsjahrgang. Das schwächt uns jetzt, wenn der Wind von vorne kommt“, warnte Schmidt.

Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, blickt bei der wirtschaftlichen Entwicklung noch grundsätzlich optimistisch in die Zukunft. Es gebe viel ungenutztes Potenzial in Europa. Das biete auch in den nächsten Jahren gute Wachstumschancen. Gleichzeitig schränkte er den eigenen Optimismus aber ein: „Eigentlich ist der Ausblick positiv – wenn nichts schiefgeht. Und es kann eine Menge schiefgehen.“ Fratzscher sieht viele dunkle Wolken, die in der Weltwirtschaft aufziehen, und große Risiken, die auch die deutsche Wirtschaft hart treffen könnten. Dabei sorge der Brexit derzeit zwar für Unsicherheit, die ökonomischen Auswirkungen wären aber weitaus geringer als die Effekte einer Rezession in den USA. Ein weiteres großes Risiko seien auch Probleme des italienischen Staates durch die Schwäche des eigenen Bankensystems.

Ein deutsches Risiko sei unter anderem die demographische Entwicklung. „Wir haben in den nächsten Jahren immer weniger Menschen, die arbeiten. Gerade im kommenden Jahrzehnt gehen viele Babyboomer in Rente. Das wird große Auswirkungen auf die Sozialsysteme haben“, so Fratzscher. Der DIW-Präsident warnte auch vor einem Auseinanderdriften der Bundesländer: „Die Unterschiede nehmen seit fünf Jahren zu. Das ist nicht nur ein Thema für Ostdeutschland; wir haben ein immer stärkeres Süd-Nord-Gefälle.“ Die steigenden Unterschiede liegen Fratzscher zufolge zu einem erheblichen Teil an der Investitionsschwäche in Deutschland. Gerade in strukturschwachen Kommunen sei das ein großes Problem.

In der Podiumsdiskussion skizzierte Dr.-Ing. Karsten Röttger, Vorstand des Werkzeugtechnik-Unternehmens Ecoroll AG mit Zentrale in Altencelle, wie sein Unternehmen sich auf die angedrohten Strafzölle der USA auf die Einfuhr deutscher Autos vorbereitet, indem es verschiedene Szenarien durchspielt. Dass Röttger gelassen in die Zukunft blickt, hat einen weiteren Grund: Neben der Automobilzulieferindustrie ist auch die Medizintechnik ein wichtiger Abnehmer für die Werkzeuge und Maschinen von Ecoroll – ein Geschäftsfeld, in dem Handelsbarrieren keine Rolle spielen.

Dringenden Handlungsbedarf  sieht Röttger bei der Digitalisierung. Wenn bei Telefongesprächen immer wieder die Verbindung abreiße, sei das schon peinlich – im Hochtechnologieland Deutschland. Die Digitalisierung hatten die Teilnehmer des Celler Schloss-Gesprächs bei einer Blitzumfrage auch auf Platz eins der Themen gewählt, die sie derzeit beschäftigen.

Holger Koch, Leiter Personalmanagement der Werner Achilles GmbH, äußerte sich zu einem weiteren Thema, das ebenfalls ganz oben auf der Liste der Aspekte stand, die den niedersächsischen Unternehmern Sorgen bereiten: dem Fachkräftemangel. Koch berichtete, dass Achilles bei der Suche nach Fachkräften vor allem auf das Engagement des Unternehmens als Ausbildungsbetrieb setzt. Der Kontakt zu künftigen Fachkräften beginne bereits in der Schule. Und wenn man den  Auszubildenden frühzeitig Verantwortung übertrage, bleiben sie dem Unternehmen auch nach Abschluss der Ausbildung treu. Nicht umsonst ist Achilles kürzlich als erstes Unternehmen mit dem Gütesiegel „Exzellente Ausbildungsqualität“ der IHK Lüneburg-Wolfsburg ausgezeichnet worden.

Moderiert wurde das Celler Schloss-Gespräch 2019 von der Rundfunk-Journalistin Jessica Bloem.

Für die musikalische Untermalung sorgten Tiana Kruškić & Friends. Im Schlosstheater Celle ist die Sängerin derzeit als Eliza Doolittle in „My Fair Lady“ zu sehen und zu hören.

Das Get together in den Caroline-Mathilde-Räumen des Celler Residenzmuseums nutzten die Teilnehmer des Celler Schloss-Gesprächs wie immer zum Erfahrungsaustausch in zwangloser Atmosphäre.

Veranstalter der Celler Schloss-Gespräche sind die Deutsche Management Akademie Niedersachsen und NiedersachsenMetall. Ihr Ziel ist es, den Entscheidern in niedersächsischen Unternehmen Impulse und konkrete Hilfestellungen für ihre Aktivitäten auf heimischen und internationalen Märkten zu geben.

Alle Fotos: Steffen Höntsch, fehlhaber.medien

 

Ein Video von der Veranstaltung können Sie hier anschauen.

Berichte über dieses Celler Schloss-Gespräch gab es in der Celleschen Zeitung und bei CelleHeute.